Was erwartet mich als Schüler*in, wenn ich den Lateinunterricht besuche?

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In der Unterstufe entdeckst Du über lateinische Texte wichtige Prinzipien von Sprache und bedeutende lateinische Vokabel, ohne in der neu gelernten Sprache gleich schreiben oder reden zu müssen. Es geht darum, die Inhalte lateinischer Texte zu verstehen, sie auch ins Deutsche zu übersetzen und über die Themen nachzudenken und zu diskutieren.

Der folgende lateinische Text, ein fiktiver Mythos, handelt von einem jungen Burschen namens Ganymed. Diesen holt der höchste Gott der Griechen und Römer, Jupiter, zu sich auf den Götterberg Olymp, da er ihm sehr sympathisch ist. Er macht dies in der Gestalt eines Adlers, da er nicht gleich erkannt werden möchte. Ganymed bekommt dort auch eine ehrenvolle Aufgabe, er ist für das Catering zuständig und bereitet den Göttern das Essen vor. Ein neues Leben in Glanz und Glamour, doch es hat auch Nachteile: Er sieht seine Eltern nicht mehr, auch mit seinen gleichaltrigen Kumpels kann er nichts mehr unternehmen.

Iuppiter, deus maximus, omnes homines – non solum virgines, sed etiam pueros – amat, id quod nobis exemplum Ganymedis demonstrat.

Quoniam is adulescens Iovi placet, rex deorum in aquilam se mutat.

Iuppiter in terram volat, Ganymedem tangit, capit, rapit. Postea cum illo rapide in montem Olympum ascendit, qui domus deorum et dearum est.

In Olympo Ganymedes deis cenam parat.

Magnus est honor, sed Ganymedes parentes non iam videt, cum amicis suis ludere non iam potest. Quam misera haec vita est!

Postea Galileo Galilei primus lunam Iovis invenit et eam Ganymedem vocat, quod is puer nunc semper apud Iovem manere debet.

Jupiter, der höchste Gott, mag alle Menschen – Mädchen genauso wie Buben – was uns das Beispiel Ganymeds zeigt.
Da dieser Bursche Jupiter gefällt, verwandelt sich der König der Götter in einen Adler.
Er fliegt auf die Erde, berührt, schnappt und raubt Ganymed. Dann steigt er mit jenem schnell auf den Berg Olymp, welcher das Haus der Götter und Göttinnen ist.

Auf dem Olymp bereitet Ganymed den Göttern das Essen zu.

Das ist eine große Ehre, aber Ganymed sieht seine Eltern nicht mehr, kann mit seinen Freunden nicht mehr spielen. Wie traurig dieses Leben ist!
Später entdeckt Galileo Galilei als erster einen Jupiter-Mond und nennt ihn Ganymed, weil dieser Bub nun immer bei Jupiter bleiben muss.

Was kann man nun mit so einem lateinischen Text anstellen, wenn man in der 3. Klasse ein Semester Latein gelernt hat?

1) Man kann den Text oder Teile davon übersetzen, um ihn zu verstehen:

Der Satz „Magnus est honor, sed Ganymedes parentes non iam videt (…)“ bedeutet: „Die Ehre ist groß, aber Ganymed sieht seine Eltern nicht mehr.“ „rex deorum in aquilam se mutat.“ bedeutet: „Der König der Götter verwandelt sich in einen Adler.“

2) Man kann sich über einzelne Wörter und ihre Bedeutung in anderen Sprachen unterhalten, wie man am Beispiel dieser beiden Sätze sieht:

Die „Regierung“ kommt von lateinisch „rex“ (König), „mutieren“ bedeutet „sich verwandeln“. Etwas „honorieren“ (lateinisch „honor“) bedeutet „ehren“, ein „Magnum“ ist ein groooßes Eis, das einem die „parent(e)s“ (engl./lat.) vielleicht einmal spendieren.

3) Man kann sich aber auch über Leitfragen dem Text nähern:

  • Was ist der Olymp? → domus deorum et dearum: „das Haus der Götter und Göttinnen“
  • Welche Aufgabe bekommt Ganymed im Olymp? → In Olympo Ganymedes deis cenam parat: „Er bereitet den Göttern das Essen zu.“
  • Welche zwei Nachteile hat er dort? → parentes non iam videt, cum amicis suis ludere non iam potest: „Er sieht seine Eltern nicht mehr, er kann mit den Freunden nicht mehr spielen.“
  • Wer entdeckte den Jupitermond „Ganymed“? → Galileo Galilei primus lunam Iovis invenit: „Galileo Galilei entdeckte diesen Mond.“
  • Warum nannte er ihn ausgerechnet Ganymed? → quod is puer semper apud Iovem manere debet: „Weil dieser Bub nun immer bei Jupiter bleiben muss.“ (So wie der Mond dem Himmelskörper immer folgt).

4) Wenn man den Inhalt einmal verstanden hat, sollte man sich über das Thema selbst Gedanken machen.

Den Mythos bzw. die Geschichte von Ganymed erzählte man sich bereits vor ca. 2500 Jahren. Man würde diese erfundene Geschichte heute nicht mehr kennen, wenn wir über ihren Inhalt heute nicht auch noch nachdenken könnte.

  • Könnte ein Leben mit den Göttern selbst über die Trennung von Familie und Freunden hinwegtrösten?
  • Was können unsterbliche Götter Ganymed bieten, was können einem nur die normalen Menschen geben?
  • Passt Jupiters Verhalten eigentlich dazu, dass er Ganymed so mag? Oder ist „gut gemeint“ das Gegenteil von gut gemacht?
  • Heute könnte Ganymed zumindest z.B. über Twitter mit seiner Familie und seinen Freunden aus der Ferne kommunizieren. Welchen Tweet würde er senden? Verfasse eine originelle Botschaft.
  • Informiere dich über die Namen von anderen Jupitermonden/Planeten und finde heraus, ob diese auch auf antiken Sagen beruhen.
  • Finde heraus, wann Galileo Galilei lebte und welche Werkzeuge er für seine Beobachtungen zur Verfügung hatte.
  • Suche auf der Seite des Kunsthistorischen Museums in Wien ein Bild, das die Ganymed-Geschichte zeigt und erkläre es als „Mythen-Profi“ einem Laien fachkundig.

Oberstufe

Wenn Du nach der Unterstufe bei uns in die Oberstufe gehst, wirst Du auch weiterhin mit lateinischen Texten zu tun haben.

In verschiedenen „Modulen“ erfährst Du dann aus echten lateinischen Originaltexten, die Römer, aber auch Künstler, Wissenschaftler und Politiker aus dem Mittelalter und der Neuzeit bis in unseres Jahrhundert verfasst haben, möglicherweise die Antworten auf folgende Fragen:

ModulFragestellungen/Themen
Gestalten aus Mythos und Geschichte; Europa
  1. Warum heißt unser Europa „Europa“?
  2. Warum lief man eigentlich den ersten „Marathon“?
Begegnung und Umgang mit dem Fremden
  1. Was erlebte ein österreichischer Diplomat im 17. Jahrhundert in der Türkei am Hof des Sultans? Vom Clash of cultures bis zum ersten Tulpenimport.
Politik und Rhetorik
  1. Wie wichtig war Bildung einem mittelalterlichen Weltherrscher wie Karl dem Großen? Muss ein Politiker von Format schreiben können?
  2. „Refugees welcome“ – Vom Asylstatus zur Weltmacht: Aeneas, ein Role Model gelungener Integration.
Eros und Amor
  1. Wie schrieb sich ein junger, unglücklich verliebter Römer seinen Schmerz von der Seele?
  2. Mit welcher Strategie landet man auf Partys fix beim anderen Geschlecht?
Suche nach Sinn und Glück
  1. Welche Tipps römischer Philosophen helfen uns, psychisch besser mit COVID-19 umzugehen?
Fachsprachen und Fachtexte
  1. Was schwören eigentlich Ärzte heute mit dem Hippokratischen Eid?
  2. Hat Musik eine therapeutische Wirkung?
  3. Woher kommt es eigentlich, dass dem „Phlegmatiker“ alles sowas von wurscht ist?
  4. „Zurück in die Zukunft“ – Wie konnte Francis Bacon bereits um 1600 ahnen, dass es einmal so etwas wie gentechnisch veränderte Lebensmittel und Zuchttiere geben wird?
  5. Was können wir aus Naturkatastrophen vor 2000 Jahren lernen?