Eine besonders berührende Begegnung mit einer Zeitzeugin der Shoah hatten am Mittwoch, dem 8. 5. 2019, die Klassen 4AR und 7M, wurden sie doch gerade am „Tag der Befreiung“, also an dem Tag, an dem 1945 die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Kraft getreten war, von Frau Dr. Helga Feldner-Busztin besucht.
Nach einer kurzen Begrüßung durch Herrn Dir. Mag. Michael Päuerl erzählte die am 14. 2. 1929 geborene Ärztin den Jugendlichen die Geschichte ihrer eigenen Jugend, ehe sie auf Schülerfragen einging. Nach einer glücklichen, behüteten Kindheit musste sie in der 3. Klasse Volksschule plötzlich wegen ihrer jüdischen Herkunft gemeinsam mit einer Klassenkollegin die Schule verlassen und eine andere Volksschule besuchen, obwohl sie in ihrer Klasse bestens integriert war. Ihr jüdischer Vater, der Lungenfacharzt und Polizeisanitätsrat Dr. Paul Pollak, wurde 1938 in das KZ Buchenwald deportiert, von wo er im Sommer 1939 entlassen wurde und nach Genua entkommen konnte. Die geplante Flucht nach China scheiterte aber an einer fingierten Schiffsfahrkarte, für welche die Familie ihre gesamten Ersparnisse ausgegeben hatte. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Italien wurde Dr. Pollak jedoch 1944 nach Auschwitz deportiert, wo er wie durch ein Wunder der Selektion entging und schwer gezeichnet überleben konnte.
Helga Pollak blieb mit ihrer Mutter Hertha und ihrer jüngeren Schwester Liese in Wien, wo sie sich einigermaßen durchschlagen konnte, aber die Übergriffe gegen Juden sowie das spurlose Verschwinden ihrer Klassenkameradinnen miterleben musste, ehe sie selbst mit ihren weiblichen Familienangehörigen 1943 nach Theresienstadt verschleppt wurde. Dort konnte sie dank des „Reinlichkeitswahns“ ihrer Mutter, die 1931 nach der Geburt ihrer älteren Tochter zum Judentum übergetreten war und freiwillig Helga ins KZ begleitet hatte, sowie ihrer Arbeit in der Landwirtschaft gemeinsam mit ihrer Mutter und Schwester überleben.
Dem Abtransport nach Auschwitz entkam sie dreimal, wobei zumindest beim ersten Mal der Zufall eine große Rolle gespielt hatte, hatte sie doch die Abfahrt des Zuges verschlafen. Ihr achtjähriger Cousin, ihre Freundin Emmi, ihre jüdische Großmutter aus Brünn sowie die Mutter ihres späteren Mannes hatten wie so viele andere Verfolgte nicht dieses Glück gehabt und den Holocaust nicht überlebt. „Man trauert nicht um die 6 Millionen Toten, sondern um einzelne Menschen“, erklärte Frau Dr. Feldner-Busztin den Schülerinnen und Schülern. Der Tod in den Gaskammern war kein würdiger Tod, betonte sie, und sie, die nach ihrer Befreiung in das völlig zerstörte Wien zurückgekehrt war, rief die Jugendlichen zu Toleranz und Respekt gegenüber anderen Menschen auf, ganz besonders gegenüber Menschen, die eine andere Herkunft, Religion oder Hautfarbe aufweisen. Dieses Anliegen, nämlich ihr Appell zu mehr Toleranz und Mitmenschlichkeit an die nachfolgenden Generationen, ist auch der Grund dafür, dass sie sich die Besuche in Schulen in ihrem hohen Alter von 90 Jahren „noch antut“.
Zum Schluss bedankte sich der Klassensprecher der 4AR, Timo Zetek, im Namen der Anwesenden mit einer Orchidee bei Frau Dr. Feldner-Busztin. Wir alle, die wir dieses Gespräch miterlebt hatten, waren zutiefst betroffen und berührt sowie überaus dankbar dafür, dass wir die Möglichkeit erhalten hatten, mit einer dermaßen eindrucksvollen Persönlichkeit wie Frau Dr. Feldner-Busztin, welche heuer genauso wie Rudolf Gelbart auch den Ute-Bock-Preis für Zivilcourage erhalten hatte, sprechen zu können. „Helga Feldner-Busztin und Rudolf Gelbart sind in unserer Gesellschaft wichtige Vorbilder. Mit ihrer Aufklärungsarbeit an Schulen und in Vorträgen haben sie mit dazu beigetragen, dass es im heutigen Österreich Menschen gibt, die historische Zusammenhänge kennen und die über das Entstehen und die schrecklichen Folgen von massivem Unrecht Bescheid wissen“, begründete SOS-Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak die Preisträger-Wahl (zitiert nach: https://derstandard.at/2000072389831/erhalten-Ute-Bock-Preis-an-Rudolf-Gelbard-und-Helga-Feldner). Besonderer Dank gilt aber auch Frau Mag. Cornelia Ringhofer, welche diese Begegnung organisiert und damit ermöglicht hat.
Text und Fotos: Mag. Silvia Krumpholz-Pichler
Nähere Informationen zu Frau Dr. Helga Feldner-Busztin findet ihr unter: http://www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich/zeitzeuginnen/das-vermaechtnis/die-zeitzeuginnen, darunter auch ein Interview mit Frau Dr. Feldner-Busztin aus dem Jahr 2007 unter: https://vimeo.com/72734059 .
Die Geschichte ihrer Familie sowie der ihres Mannes wurde von ihrer Enkelin auf überaus interessante und spannende Weise in folgendem Buch aufgearbeitet:
Anna Goldenberg: Versteckte Jahre. Der Mann, der meinen Großvater rettete. Wien: Zsolnay 2018.